Folge 6: Rechtsextremismus oder die Frage…

Wer ist schuld?

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Die „Querdenken“-Bewegung habe eine deutliche Tendenz in eine rechtsextreme Richtung, hieß es im Dezember aus dem Thüringer Innenministerium. Die Verbindung von einem esoterischen Weltbild mit Linken, Vegetariern, Impfgegnern und Gurus erscheint für viele Menschen intuitiv. Aber wie passt da der Rechtsextremismus ins Bild? Esoterik verbindet man schließlich doch eher mit Hair als mit Glatzen.

Obwohl die Pazifisten und liberalen Hippies der 68er unser Bild der Esoterik stark geprägt haben, brachte die moderne Esoterik von Anfang an ein Weltbild hervor, das sowohl als Aufruf zur allgemeinen Verbrüderung, als auch als Aufruf zum „Rassenkampf“ verstanden werden konnte.

Die Theosophin Helena Blavatsky behauptete, im in Tibet verborgenen Buch Dzyan die detaillierte Beschreibung der spirituellen Evolution gelesen zu haben. Ihre Einblicke schrieb sie in ihrem eigenen Buch, dem esoterischen Standardwerk The Secret Doctrine, auf deutsch Die Geheimlehre von 1880, nieder. Die Menschheit habe sich von einem geistigen zu einem materialistischen Wesen entwickelt und müsse nun zurück zu ihrer geistigen Existenz finden, heißt es darin. Diese Entwicklung vollziehe sich in Menschheitszeitaltern, die Blavatsky „Wurzelrassen“ nannte. Diese so genannten „Wurzelrassen“ waren von Mythen der griechischen Antike inspiriert. Unserer Zivilisation vorausgegangen seien die „Wurzelrassen“ der Polarier, der Hyperborea, der Lemurier und der Atlantiker und nun befänden wir uns im Zeitalter der Arier. All diese „Wurzelrassen“ seien aber wieder unterteilt in je sieben „Unterrassen“, wobei eine solche „Rasse“ immer jeweils die nächste ablöse. Die fünfte „Unterrasse“ der Arier seien die Teutonen, also die Deutschen. Die sechste „arische Unterrasse“ werde dann erstmals zu Beginn des 21. Jahrhunderts in den USA auftreten, glaubte Blavatsky, die selbst gebürtige Russin war, allerdings die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben hatte. Diese sechste „Unterrasse“ werde aufgrund ihrer fortgeschrittenen spirituellen Entwicklung übernatürliche Fähigkeiten aufweisen.

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Auf die Vorstellung von „Wurzelrassen“ bezog sich unter anderem die völkische Ariosophische Gesellschaft, die wie die Anthroposophische Gesellschaft eine Splittergruppe der Theosophischen Gesellschaft war. Sie deutete die Theosophie als rassistische Ideologie und förderte aktiv die Ziele der Nationalsozialisten. Die Ariosophen sahen in den blonden, blauäugigen Germanen die fortgeschrittenste „Unterrasse“ der Arier, die vor langer Zeit von Indien nach Europa eingewandert sei. Besondere spirituelle Fähigkeiten hätten deshalb nicht die Inder in Indien, auch nicht die Amerikaner, sondern die Arier in Deutschland. Die Vorstellung des ursprünglich aus Indien stammenden deutschen Ariers ist dem Nationalsozialismus bis heute eingeschrieben. Nicht zufällig wählten sie als Symbol ihrer Partei das indische Sonnenrad, auch bekannt als Swastika oder Hakenkreuz. Eine Swastika war auch auf dem Siegel der Theosophischen Gesellschaft abgebildet. Heute wird sie manchmal weggelassen oder mit Erläuterungen versehen.

Siegel der Theosophischen Gesellschaft

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Zur Idee der „Wurzelrassen“ kamen noch andere Aspekte der Esoterik, die dem Faschismus in die Hände spielten. Da war die Kritik am Intellektualismus, da war der Glaube an einen Führer, dem man folgen musste, da war die Präferenz für eine „natürliche“ Lebensweise, die ein patriotisches Konsumverhalten versprach und da war das eindeutige Feindbild im Materialismus. Dieser Materialismus wurde nun als Merkmal für alles Jüdische angesehen. Juden wurde die Schuld an den Fehlern der Moderne gegeben. Sie wurden zur Personifizierung der kalten, herzlosen Industriegesellschaft und ihrer Folgen stilisiert und galten damit als Kommunisten und Kapitalisten zugleich. Obwohl auch viele Juden unter den Mitgliedern esoterischer Verbände gewesen waren, wurden sie nun zum Sinnbild für alles gemacht, gegen das sich die Esoterik gerichtet hatte. Waren Juden Ärzte, so galten sie als Vertreter der kalten Wissenschaft, als Tier- und Menschenquäler. Hinzu kam noch, dass es das orthodoxe Judentum gebot, Tiere zu schächten, was als Beweis für ihren kaltherzigen Materialismus, der den Tieren die Seele absprach, angesehen wurde. Arbeitetwn Juden als Journalisten, Schriftsteller oder an den Universitäten, so galten sie als kleingeistige Bildungsbürger, die die Vernunft über alles stellten und keinen Instinkt und kein Gefühl mehr hätten. Waren sie im Bank- und Versicherungswesen tätig, galten sie als Menschen des Kommerzes, die gnadenlos gegenüber den Armen seien. Kurz, in allem wurden sie zum Gegenteil des spirituellen Ariers erklärt, der von der materialistischen Industrialisierung überrollt werden würde, wenn er sich nicht wehrte.

Zwar verboten die Nationalsozialisten die esoterischen Vereine, sogar die Ariosophische Gesellschaft als „staatsfeindliche Sekten“, aber einige Nazifunktionäre hegten auch weiterhin eine gewisse Sympathie für die spirituelle Evolution. Das bekannteste Beispiel hierfür ist Heinrich Himmler, der auf der Wewelsburg in Nordrhein-Westfalen einen esotserisch-arischen Vatikan errichten wollte. Zudem blieben einzelne esoterische Vereine, von denen sich die nationalsozialistische Führung Vorteile versprach, weiterhin bestehen, wie etwa der nazifizierte Reichsverband für bio-dynamische Wirtschaftsweise. Rechte Esoterik konnte unter den Nationalsozialisten ein Nischendasein führen, die auf internationale Verbrüderung ausgelegte linke Esoterik aber hatte es schwer.

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Nach 1945, während des Kalten Kriegs, fand die Naziideologie vor allem in den USA neuen Aufschwung und erhielt nun eine eindeutig religiös-esoterische Färbung. Dass Himmler selbst ein esoterisches Weltbild vertreten hatte, wurde nun als Beleg für diese neue Deutung des Nationalsozialismus angesehen.

Der Kommunismus und die schwarze Bürgerrechtsbewegung erschienen als Bedrohungen des weißen, christlichen Amerika, gegen die der Nationalsozialismus ein adäquates Mittel sein sollte. Nation wurde hier nun als „Rasse“ gedeutet, wie das etwa der Begriff der „Arian Nation“ widerspiegelt. Der Nationalsozialismus wurde damit nicht mehr als Nationalismus im ursprünglichen Sinn, sondern als ein internationaler Zusammenschluss der „weißen Rasse“ gegen die Bedrohungen durch andere „Rassen“ verstanden. Adolf Hitler wurde zu einem spirituellen Führer verklärt, der die Gefahr durch die jüdisch-kapitalistisch-kommunistische Elite klar erkannt habe. Diese Elite wolle die spirituelle Evolution aufhalten und einen „Rassenkrieg“ auslösen, indem sie der „schwarzen Rasse“ einrede, deren Misserfolg liege nicht an ihrer, wie es bei diesen esoterischen Rassisten heißt, „niedrigeren spirituellen Entwicklungsstufe“, sondern an ihrer sozialen Benachteiligung. Hitler habe diese Gefahr gesehen und versucht, sie abzuwenden.

Hinzu kam das typisch esoterische Paradox zwischen wissenschaftlichem Fortschrittsglauben und Kulturpessimismus, das bereits die Sozialreformer des 19. Jahrhunderts geprägt hatte. In der Esoterik traf die Kritik an den Missständen der Industrialisierung von Anfang an auf ein grenzenloses Vertrauen in den technischen Fortschritt. Dies hatte bereits im 19. Jahrhundert zu einer großen Begeisterung für Science-Fiction-Romane unter Esoterikern geführt. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts blühte diese unter Naziesoterikern wieder auf und so fanden Motive, wie etwa die Reichsflugscheibe, das angebliche Ufo der Nazis, ihren Weg in das rechtsextreme Weltbild. Da sich die neuen Nazis als Internationaler Verbund begriffen expandierten sie und reimportierten den neu formulierten und stark esoterisch angereichten Rechtsextremismus zurück nach Deutschland.

Spätestens von diesen esoterischen Neonazis wurde der Holocaust dann als eine karmische Reinigung betrachtet, die den Ariern zwar karmischen Schaden gebracht hätte, aber ein notwendiges Übel gewesen sei, weil die Juden nun in einer „spirituell höheren Rasse“ wiedergeboren würden. Damit wird nicht nur der Holocaust verharmlost, sondern mit unfassbarem Zynismus findet eine hier eine Täter-Opfer-Umkehr statt, die die Nazis als Märtyrer der spirituellen Evolution darstellt. Diese widerwärtige Theorie vertritt unter anderem der deutsche Naziesoteriker Jan Udo Holy, besser bekannt als Jan van Hellsing, der in Deutschland zum Bestsellerautor avancierte, bevor seine Bücher wegen Volksverhetzung verboten wurden. Zum ersten Mal auf Holy aufmerksam geworden bin ich übrigens, als ich eines seiner Bücher im Schrank der Mutter eines Freundes sah. Sie war Heilpraktikerin, mein Freund zog in seinem Zimmer Hanfpflanzen. Eine klassische Hippiefamilie.

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Als sich die internationale Gemeinschaft nach dem Ende des kalten Krieges umorientieren musste und man in der amerikanischen und russischen Politik deshalb von einer neuen Weltordnung sprach, änderte sich auch das Feindbild des Rechtsextremismus. Man hatte der eigenen Regierung zwar schon immer misstraut, doch nun saß der Feind eindeutig nicht mehr in Russland sondern in den eigenen Hauptstädten. Durch die Propaganda der liberalen Machthaber, die Homosexualität und Frauenrechte stärkten, werde die Geburtenrate der Weißen gesenkt, während nicht-weiße „Rassen“ von der Regierung bevorteilt würden und somit langsam die Oberhand gewännen. Das Ziel der neuen Weltordnung sei der Aufbau einer von einer grausamen Geheimelite gelenkten Weltregierung. Dafür müsse aber zunächst die spirituell fortschrittliche und wehrhafte „weiße Rasse“, vernichtet werden, so dass die Elite anschließend über eine rassisch-gemischte und damit geistig zurückentwickelte und harmlose Bevölkerung herrschen könne. In diesem Kontext kommt in den 90er Jahren auch zum ersten Mal die Behauptung auf, dass der Bevölkerung zur Überwachung Microchips implantiert werden sollen. All diese Ängste werden derzeit mit der Corona-Impfung in Verbindung gebracht. Es heißt, die Impfung mache unfruchtbar, enthalte schädliche DNA oder injiziere einen Überwachungschip in den Körper.

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Ihre Feindbilder sind in die Esoterik eingeschrieben. Sie basieren auf einer Kritik an der Brutalität der modernen Lebenswirklichkeit. Die perfide Verknüpfung dieser Feindbilder mit dem Judentum und einer geheimen und bösen Politik- und Finanzübermacht, die die Weltherrschaft an sich reißen will, verspricht ebenso brutale, wie simple Lösungen. Diese bösen Eliten müsse man nur loswerden, so die Idee, dann werde sich die natürliche Hierarchie der spirituellen Evolution wieder einstellen und man könne die Früchte der modernen Industriegesellschaft ungestört genießen. Sich mit politischen Problemen und den Auswüchsen von sozialer Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Umweltschäden im Detail auseinanderzusetzen ist dann nicht mehr nötig und man muss auch nicht zugeben, dass man selbst ein Teil des Problems ist. Das war 1930 so und das ist heute nicht anders.

Der Grundstein für Verschwörungstheorien aller Art ist damit gelegt. Warum aber ausgerechnet die Esoterik so eine Affinität für die große Verschwörung hat, das klärt die nächste und letzte Folge.

Quellen:

Nicholas Goodrick-Clarke. Black Sun: Aryan Cults, Esoteric Nazism, and the Politics of Identity. New York: New York Univeristy Press, 2001.

Corinna Treitel. A science for the Soul. Occultism and the Genesis of the German Modern. Baltimore u.a.: Johns Hopkins University Press, 2004.

James A. Santucci. The Notion of Race in Theosophy. Nova Religio. The Journal of Alternative and Emergent Religions. (11/ 3), 2008, 37–63.

Veröffentlicht von Judith Bodendörfer

Religionswissenschaftlerin

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